Sonntag, 13. November 2005

Der Ochs und sein Hirte

Um die Ochsenbilder und die dazu gehörenden Lehrgedichte richtig zu verstehen, müssen wir berücksichtigen, daß der Ochse in der altchinesischen Weisheit das Symbol der Geisteskraft ist. Entkleiden wir also diese altchinesische Geschichte ihres Bildcharakters, so steht vor uns ein Mensch, der seine geistigen Kräfte auf mannigfaltigen Irrwegen verloren hat. Die Gier nach Gewinn und die Furcht vor Verlust beherrschen sein Leben. Sein inneres Licht ist getrübt, so daß er Recht und Unrecht nicht mehr zu unterscheiden vermag. Entschlossen macht er sich auf den Weg, seine zerstreuten Kräfte zurückzuholen. Er liest in den heiligen Büchern, hört die heilige Lehre und beginnt, sich unaufhaltsam in der Zen-Meditation zu üben. So entdeckt er die Spur seines ursprünglichen Wesens. Doch seine Sinne schweifen noch umher, und seine ungeordneten Triebe verlieren sich immer wieder in der Welt früherer Leidenschaften. Durch standhafte Meditationsübungen nähert er sich jedoch mehr und mehr seinem ursprünglichen Wesen. Seine schweifenden Sinne beruhigen sich; die Begierden fallen von ihm ab; die früheren Gegensätze heben sich auf. Sein Geist läutert sich und erhebt sich zum Schauen der Wahrheit. Eine innere Einheit durchwaltet sein Tun und Lassen. In der vollkommenen Selbstvergessenheit wird sein Herz klar und durchsichtig, sein Wesen offen und weit. Alles, wovon er sich zuvor frei machen mußte, kehrt verklärt zu ihm zurück. Jetzt schaut er mit anderen Augen in die Welt. Er kehrt in sie zurück, um seine Kraft in den Dienst der Menschen zu stellen und ihnen zur wahren Freiheit und Erleuchtung zu verhelfen.


1. Die Suche nach dem Ochsen

Der Ochse ist in Wirklichkeit nie verloren gegangen; warum also ihn suchen? Da der Mensch sich aber von seinem wahren Wesen abgewandt hat, ist der Ochse ihm fremd geworden; er hat ihn im Staub aus den Augen verloren. Weit ist der Mensch von seiner Heimat abgeirrt und sieht sich nun einem Wirrsal von Wegen gegenüber. Gier nach Gewinn und Furcht vor Verlust schießen wie sengende Flammen empor; Vorstellungen von Recht und Unrecht stehen gleich Dornen auf.



Verlassen in endloser Wildnis
schreitet der Hirte dahin
durch wucherndes Gras
und sucht seinen Ochsen.
Weit fließt der Fluß,
fern ragen die Gebirge,
und immer tiefer ins Verwachsene
läuft der Pfad.
Der Leib zu Tode erschöpft
und verzweifelt das Herz.
Doch findet der suchende Hirt
keine geleitende Richtung.
Im Dämmer des Abends
hört er nur Zikaden
auf dem Ahorn singen.


II. Das Finden der Ochsenspur

Durch Sutras und Lehren findet er die Spur des Ochsen. Er hat genau verstanden, daß verschieden geformte (goldene) Gefäße doch alle vom gleichen Gold sind und daß gleichermaßen alles und jedes eine Offenbarung des Selbst ist. Doch kann er noch nicht Gut und Böse unterscheiden, nicht Wahrheit von Trug. Noch ist er nicht wirklich durch das Tor eingetreten. Deshalb nennt man dieses Stadium 'Erblicken der Spuren'.



Unter den Bäumen am Wassergestade
sind hier und dort die Spuren des Ochsen
dicht hinterlassen.
Hat der Hirte den Weg gefunden
inmitten des dicht wuchernden,
duftenden Grases?
Wie weit auch der Ochse laufen mag
bis in den hintersten Ort
des tiefen Gebirges:
Reicht doch seine Nase
in den weiten Himmel,
daß er sich nicht verbergen kann.


III. Das Finden des Ochsen

Wenn er nur gespannt auf die alltäglichen Laute horcht, wird er zur Erkenntnis gelangen und in eben diesem Augenblick den wahren Ursprung erblicken. Die sechs Sinne unterscheiden sich nicht von diesem wahren Ursprung. In jedem Wirken ist der Ursprung unverhüllt gegenwärtig. Er entspricht dem Salz im Wasser, dem Leim in der Farbe des Malers. Wenn der Hirte die Augen weit aufschlägt, wird er inne, daß das Gesehene vom Ursprung nicht verschieden ist.



Auf einmal erklingt
des Buschsängers helle Stimme
oben im Wipfel.
Die Sonne strahlt warm,
mild weht der Wind,
am Ufer grünen die Weiden.
Es ist kein Ort mehr,
dahin der Ochse sich
entziehen könnte.
So schön das herrliche Haupt
mit den ragenden Hörnern,
daß es kein Maler erreichte.


IV.

Heute hat er den Ochsen getroffen, der lange in der Wildnis umhergestreift war. Doch der Ochse schwelgte so lange in dieser Wildnis, daß es nicht leicht ist, ihn von seinen alten Gewohnheiten loszureißen. Er sehnt sich nach dem süß duftendem Gras, noch ist er eigensinnig und wild. Will der Hirte ihn zähmen, so muß er zur Peitsche greifen.



hat der Hirte den Ochsen gefangen.
Zu heftig noch dessen Sinn,
die Kraft noch zu wütend,
um leicht seine Wildheit zu bannen.
Bald zieht der Ochse dahin,
steigt fern auf die hohen Ebenen.
Bald läuft er weit in tiefe Stätten
der Nebel und Wolken
und will sich verbergen.


V. Das Fangen des Ochsen

Erhebt sich ein Gedanke, so folgen weitere und weitere. Gedanken werden durch Erleuchtung wirklich; infolge der Verblendung werden sie unwirklich. Die Dinge erhalten ihr Dasein nicht durch die Umwelt, sondern sie erheben sich einzig im eigenen Geiste. Fest muß der Ochsenhirt das Leitseil packen und darf keinen Zweifel eindringen lassen.



Nach höchsten Mühen
Von Peitsche und Zügel
darf der Hirte seine Hand
keinen Augenblick lassen.
Sonst stieße der Ochse
mit rasenden Schritten
vor in den Staub.
Ist aber der Ochse geduldig gezähmt
und zur Sanftmut gebracht,
folgt er von selbst
ohne Fessel und Kette
dem Hirten.


VI. Die Heimkehr auf dem Rücken des Ochsen

Der Kampf ist vorüber: 'Gewinn' und 'Verlust' haben sich in Leere aufgelöst. Der Hirte singt die ländliche Weise der Holzfäller und spielt auf der Flöte die einfachen Lieder der Dorfkinder. Er sitzt bequem auf dem Rücken des Ochsen und blickt heiter zu den Wolken droben auf. Ruft man ihn an, so sieht er sich nicht um; will man ihn festhalten, so bleibt er doch nicht hier.



Der Hirte kehrt heim
auf dem Rücken des Ochsen,
gelassen und müßig.
In den fernhinziehenden Abendnebel
klingt weit der Gesang seiner Flöte.
Takt auf Takt
und Vers auf Vers
tönt die grenzenlose Stimmung
des Hirten.
Hört einer auf den Gesang,
braucht er nicht noch zu sagen,
wie es dem Hirten zumute.


VII. Der Ochs ist vergessen, der Hirte bleibt

Im Dharma gibt es keine Zweiheit. Der Ochse ist unser urinnerstes Wesen - das hat er nun erkannt. Eine Falle ist nicht mehr erforderlich, wenn der Hase gefangen ist, ein Netz nicht mehr vonnöten, wenn der Fisch geködert wurde. Es ist, als wäre Gold von der Schlacke befreit worden; als wäre der Mond zwischen den Wolken zum Vorschein gekommen. Ein Strahl von klarstem Glanz scheint immerdar vom Urbeginn an.



Schon ist der Hirte heimgekehrt
auf dem Rücken des Ochsen.
Es gibt keinen Ochsen mehr.
Allein sitzt der Hirte,
müßig und still.
Ruhig schlummert er noch,
da doch die rot brennende Sonne
schon hoch am Himmel steht.
Nutzlose Peitsche und Zügel,
weggeworfen unter das stroherne Dach.


VIII. Die vollkommene Vergessenheit von Ochse und Hirte

Aller Verblendung ist er ledig, und auch alle Vorstellungen von Heiligkeit sind verschwunden. Nicht länger mehr braucht er 'In-Buddha' zu verweilen, und schnell geht er durch 'Nicht-Buddha' hindurch weiter. Auch die tausend Augen können an ihm, der an keinem von beiden mehr haftet, nichts bemerken. Wollten Hunderte von Vögeln ihm nun Blumen streuen, er würde sich seiner selbst schämen.



Peitsche und Zügel,
Ochse und Hirt
sind spurlos zu Nichts geworden.
In den weiten und blauen Himmel
reicht niemals ein Wort,
ihn zu ermessen.
Wie könnte der Schnee
auf der rötlichen Flamme
des brennenden Herdes verweilen?
Erst wenn ein Mensch
in diesen Ort gelangt ist,
kann er den alten Meistern entsprechen.


IX. Zurückgekehrt in den Grund und Ursprung

Von Urbeginn an gibt es keinerlei Staub (der die ursprüngliche Reinheit befleckte). Der Hirte beobachtet das Werden und Vergehen des Lebens in der Welt und weilt in gelassener Ruhe. All das (Werden und Vergehen) ist kein Wahn. Warum sollte es notwendig sein, um irgendetwas zu ringen. Grün sind die Gewässer, blau die Berge. In sich ruhend, betrachtet er den Wandel der Dinge.



In den Grund und Ursprung zurückgekehrt
hat der Hirte schon alles vollbracht,
Nichts ist besser,
als jäh auf der Stelle
wie blind zu sein und taub.
In seiner Hütte sitzt er
und sieht keine Dinge da draußen.
Grenzenlos fließt der Fluß,
wie er fließt.
Rot blüht die Blume,
wie sie blüht.


X. Das Hereinkommen auf den Markt mit offenen Händen

Die Tür seiner Hütte ist verschlossen, und selbst der Weiseste kann ihn nicht ausfindig machen. Die Gefilde seines Innern sind tief verborgen. Er geht seinen Weg und folgt nicht den Schritten früherer Weiser. Er kommt mit der Kürbisflasche auf den Markt und kehrt mit seinem Stab in die Hütte zurück. Schankwirte und Fischhändler führt er auf den Weg, ein Buddha zu werden.



Mit entblößter Brust und nackten Füßen
kommt er herein auf den Markt.
Das Gesicht mit Erde beschmiert,
den Kopf mit Asche
über und über bestreut.
Seine Wangen überströmt
von mächtigem Lachen.
Ohne Geheimnis und Wunder
zu mühen,
läßt er jäh die dürren Bäume
erblühen.

Herzsutra

Sutra von der Vervollkommnung
der Weisheit des Herzens

Bodhisattva Avalokitesvara,
in der Übung der tiefen transzendenten Weisheit erkannte,
daß alle fünf Skandas leer sind,
und überwand so alles Leiden.

Sariputra, Form ist nichts anderes als Leere,
Leere nichts anderes als Form.
Form ist wirklich Leere,
Leere wirklich Form.

Das Gleiche gilt für Empfindung, Wahrnehmung,
Wollen und unterscheidendes Denken.

Sariputra, die Formen aller Dinge sind leer,
sie entstehen nicht und vergehen nicht;
sie sind nicht rein und nicht unrein,
nehmen nicht zu und nicht ab.

Daher ist in der Leere keine Form,
weder Empfindung, Wahrnehmung,
Wollen oder unterscheidendes Denken,
weder Auge, Ohr, Nase, Zunge oder Körper,
weder Farbe, Ton, Duft oder Geschmack,
weder Berührbares noch Vorstellung,
weder ein Bereich der Sinnesorgane
noch ein Bereich oder des Denkens,
weder Unwissenheit
noch Ende von Unwissenheit.

Und so gibt es weder Alter noch Tod,
noch ein Ende von Alter und Tod,
weder Leiden noch Entstehen von Leiden,
kein Anhäufen, Vernichten, keinen Weg,
weder Erkennen noch Erreichen,
weil es nichts zu erreichen gibt.
Ein Bodhisattva lebt aus dieser Weisheit,
ohne Hindernis im Geiste,
ohne Hindernis und daher ohne Furcht.

Jenseits aller Illusionen ist endlich Nirvana.
Alle Buddhas der Vergangenheit
leben aus dieser transzendenten Weisheit,
erreichen die höchste Erleuchtung,
vollkommen und unübertroffen.

Wisse daher, daß die transzendente Weisheit
das große, heilige Mantra ist,
das große, strahlende Mantra,
das unübertroffene Mantra,
das alle Leiden nimmt.
Das ist wahr und ohne Fehl.

Das ist das Mantra,
verkündet in der transzendenten Weisheit.
Es lautet: GATE GATE PARAGATE
PARASAMGATE BODHI SVAHA.

MAKA HANNYA HARAMITA SHIN GYO

Lied auf Za-zen

Alles Seiende ist der Natur nach Buddha,
wie Eis seiner Natur nach Wasser ist.
Getrennt vom Wasser gibt es kein Eis,
getrennt vom Seienden kein Leben des Buddha.

Wie traurig, daß die Menschen das Nahe nicht achten
und die Wahrheit in der Ferne suchen:
Wie einer, der mitten im Wasser aufschreit vor Durst,
wie ein Kind aus wohlhabendem Hause, das umherirrt
unter den Armen.

Verloren auf des Unwissens dunklen Pfaden
zieh´n wir dahin durch die sechs Welten,
von dunklem Pfad zu dunklem Pfad.
Wann werden wir frei von Geburt und Tod?

O Za-zen des Mahayana! Ihm sei höchstes Lob!
Mildtätigkeit, Gebote, die vielen Paramitas,
das Wiederholen des Namen Buddha, Zerknirschung,
Übung und zahllose andere guten Werke –
alle haben ihren Ursprung darin.

Wer nur einmal Za-zen versucht,
löscht zahllose vergangene Sünden.
Wo sind die dunklen Pfade geblieben?
Das Reine Land ist nicht fern.

Wer nur einmal diese Wahrheit hört
und ihr dankbaren Herzens lauscht,
sie preist, sie verehrt,
erlangt Segnungen ohne Ende.

Jene aber, die sich nach innen wenden
und die Selbst-Natur bezeugen
– die Selbst Natur, die eine Nicht-Natur ist –‚
geh´n über bloße Lehren weit hinaus.

Das Tor der Einheit von Ursache und Wirkung öffnet sich.
Der Weg, der weder zwei noch drei ist, führt geradeaus.
Als Form, die Nicht-Form ist, sind wir nie irgendwo anders,
ob wir kommen oder gehen.
Als Gedanke, der Nicht-Gedanke ist,
sind selbst Gesang und Tanz die Stimme des Dharma.

Wie grenzenlos frei der Himmel des Samadhi!
Wie hell der volle Mond der vierfachen Weisheit!
Fehlt noch etwas in diesem Augenblick?
Nirvana vor unseren Augen.
Das Lotos-Land an diesem Ort.
Dieser Leib das Leben des Buddha

HAKUIN ZENJI

Shodoka

Gesang vom Erkennen des TAO

1. Siehst du nicht jenen gelassenen Menschen des TAO,
Jenseits von Lernen und Streben.
Er meidet nicht eitle Gedanken, noch sucht er die Wahrheit.
Er weiß: Die wahre Natur der Unwissenheit ist die Wesensnatur.

2. Der leere Schein-Leib ist der wahre Dharma-Leib.
Wenn der Dharma-Leib voll erwacht,
Ist nicht ein Ding.
Die Quelle der Ich-Natur ist die angeborene Wesensnatur.

3. Die fünf Skandas kommen und gehen
Wie vorüberziehende Wolken am leeren Himmel.
Gier, Zorn und Verblendung erscheinen und verschwinden
Wie Blasen auf der Oberfläche des Meeres.

4. Erfahren wir die Wirklichkeit,
Gibt es weder Mensch noch Ding,
Und alles Karma, das zur Hölle führt, verschwindet im Nu.
Wenn das eine Lüge ist, die Menschen zu täuschen,
Sei meine Zunge für immer ausgerissen.

5. Wenn wir plötzlich zum Tathâgata-Zen erwachen,
Sind die sechs Pâramitâs und alle guten Taten
Bereits vollendet in uns.
Im Traum sehen wir klar die sechs Wege;
Wenn wir erwachen, ist das ganze Universum leer.

6. Keine Sünde, kein Segen, kein Verlust und kein Gewinn:
Suche solche Dinge nicht inmitten des vollkommenen Friedens.
Bis jetzt wurde der staubige Spiegel nicht gereinigt.
Laßt uns ihn heute reinigen, einmal und für immer.

7. Wer hat keine Gedanken? Wer ist nicht geboren?
Wenn wir wahrhaft nicht geboren sind,
So sind wir auch nicht ungeboren.
Ruf eine Puppe und frag sie.
Solange wir Buddha suchen und verdienstvolle Werke vollbringen,
Werden wir Erleuchtung nie erlangen.

8. Laß die vier Elemente los.
Esse und trinke nach Belieben in vollkommener Klarheit.
Alle Dinge sind vergänglich und leer:
Das ist die große und vollkommene Erleuchtung des Tathâgata.

9. Diese klare Überzeugung kennzeichnet den wahren Schüler.
Ist jemand damit nicht einverstanden,
Kann er oder sie mich ruhig fragen.
Wird die Wurzel geradewegs herausgerissen,
Drückt Buddha sein Siegel auf.
Wer Blätter sammelt und nach Ästen sucht,
Dem kann ich nicht helfen.

10. Die Menschen kennen nicht den Juwel,
Tief in der Schatzkammer des Tathâgata verborgen.
Sein wunderbares Wirken in den sechs Sinnen
Ist leer und nicht-leer.
Sein vollkommenes Licht ist Form und Nicht-Form.

11. Die fünf Augen zu klären und die fünf Kräfte zu erlangen,
Ist nur in der Erfahrung jenseits der Gedanken möglich.
Bilder in einem Spiegel zu sehen, ist nicht schwer.
Aber wer kann den Mond im Wasser fassen?

12. Allein wirken sie, allein ziehen sie dahin;
Unbeschwert wandern alle Vollendeten auf dem
Pfad des Nirvana.
Ihre Erscheinung ist zeitlos. Ihr Geist ist klar,
Ihr Benehmen natürlich und vornehm.
Hager, mit knochigem Gesicht
Gehen sie unbeachtet durch die Welt.

13. Die Kinder Shâkyas gelten als arm,
Doch arm nur am Leib, nicht im TAO.
Obwohl stets in Lumpen gehüllt,
Bewahren sie doch im Innern einen kostbaren Schatz.

14. Trotz steten Gebrauches nützt der kostbare Schatz sich nicht ab.
Großzügig geben sie allen, so viel sie begehren.
Die drei Körper und die vier Weisheiten
Sind in ihrem Sein vollendet.
Die acht Befreiungen und die sechs übernatürlichen Kräfte
Sind eingeprägt in den Grund ihres Geistes.

15. Der beste Schüler klärt es einmal und für immer.
Die andern sind sehr gelehrt, doch bezweifeln sie viel.
Leg´ doch die schmutzigen Gewänder ab, an denen du hängst.
Warum bist du so stolz auf deine frommen Übungen?

16. Mögen mich die anderen tadeln und verdammen, so viel sie wollen.
Mit einer Fackel versuchen sie, den Himmel in Brand zu stecken;
Am Ende werden sie nur müde davon.
Ihre Verleumdungen schmecken wie süßer Tau.
Denn alles vergeht, und plötzlich bin ich im Reich des Nichtdenkens.

17. Wenn ich bedenke, wie hilfreich Verleumdungen sind,
Wird der Verleumder mein guter Freund.
Wenn ich gekränkt werde und gleichmütig bleibe,
Brauche ich die Kraft des ungeborenen Mitleids
Und die Macht der Weisheit nicht mehr zu zeigen.

18. Ich habe Wesen und Ausdruck voll erfaßt.
Einsicht und Weisheit sind vollkommen klar.
Ich verweile nicht in der Leere.
Aber nicht allein habe ich das erreicht:
Alle Erleuchteten, unzählbar wie der Sand am Ganges,
Sind von gleichem Wesen.

19. Das Löwengebrüll der furchtlosen Lehre
Zerschmettert das Gehirn der Tiere, wenn sie es hören.
Selbst der vornehme Elefant vergißt seinen Stolz
Und rennt davon.
Nur der himmlische Drache hört still und freudig zu.

20. Ich zog über Flüsse und Seen, überquerte Berge und Ströme,
Besuchte Meister, fragte nach dem TAO und übte Zen.
Erst seit ich den Weg zu Hui Neng gefunden,
Weiß ich: Um Leben und Tod muß ich mich nicht kümmern.

21. Gehen ist Zen, Sitzen ist Zen,
Sprechen oder Schweigen, Bewegung oder Ruhe –
Das Wesen ist immer in Frieden.
Selbst das Schwert des Todes vor Augen bleibt es unbewegt.
Auch beim Trinken von Gift ist es ruhig.

22. Unser Lehrer traf einst Dipankara Buddha,
Viele Äonen lang übte er sich als Asket, genannt Kshanti.
Wie oft sind wir geboren, wie oft werden wir sterben?
Leben und Tod folgen einander in Ewigkeit.

23. Seit ich das Ungeborene plötzlich erfahren,
Macht mich Ehre oder Schmach weder glücklich noch traurig.
Tief in den Bergen lebe ich still und abgeschieden
Unter steilen Felsen und alten Föhren.
Ruhig und zufrieden sitze ich in meiner Einsiedelei
Und genieße das einfache und einsame Leben.

24. Bist du wirklich erwacht, verstehst du:
Es gibt kein Anhäufen von Verdiensten.
Es gleicht nicht den Gesetzen der Erscheinungswelt.
Gute Werke, die Belohnung erwarten, mögen geistigen Gewinn bringen,
Doch sie gleichen einem Pfeil, in den leeren Himmel geschossen;
Wenn seine Kraft nachläßt, fällt er auf die Erde zurück
Und bringt Unglück im kommenden Leben.
Ist es nicht besser, durch das Tor der unwandelbaren Wirklichkeit einzutreten
Und direkt bis zum Grund des Tathâgata vorzudringen?

25. Halte dich nur an die Wurzel,
Sorge dich nicht um die Zweige.
Es ist wie der Mond, leuchtend in kristallener Schale.
Nun erkenne ich den wunsch-erfüllenden Juwel,
Der mir und allen zur unerschöpflichen Wohltat wird.

26. Der Mond scheint auf den Fluß,
Der Wind weht durch die Föhren.
Das reine Schweigen dieser langen Nacht –
Wozu?

27. Der Juwel der Gebote des wahren Selbst
Ist eingeprägt in den Grund meines Geistes.
Mein Kleid ist der Tau, der Nebel, der Dunst und die Wolke.
Die drachen-besänftigende Schale
Und der tiger-trennende Stab mit den beiden klingenden Ringen
Sind nicht leere, überlieferte Formen,
Sondern Spuren, hinterlassen vom kostbaren Stab des Tathâgata.

28. Ich suche weder die Wahrheit, noch weise ich Täuschungen ab.
Ich weiß: alle Gegensätze sind leer und ohne Form.
Doch diese Nicht-Form ist weder leer noch nicht-leer,
Und dies ist die wahre Gestalt des Tathâgata.

29. Der Geist-Spiegel zeigt alles klar und ungehindert;
Grenzenlos durchdringt er die zahllosen Reiche.
In seiner Mitte spiegeln sich alle Dinge des Universums;
In diesem einen vollkommenen Licht
Gibt es weder Innen noch Außen.

30. Die weite Leere verbannt Ursache und Wirkung;
Doch das bringt nur Unheil und Verwirrung.
Wer das Dasein zurückweist und sich an die Leere klammert,
Ist krank wie einer, der ins Feuer springt,
Um dem Ertrinken zu entgehen.

31. Illusionen zurückweisen und die Wahrheit festhalten –
Der Geist, in Gegensätzen gefangen,
Bringt nur geschickte Lügen hervor.
Schüler, die üben, ohne dies zu verstehen,
Machen einen Dieb zu ihrem eigenen Kind.

32. Der Reichtum des Dharma verliert sich,
Alle Verdienste verlöschen:
Das ist die Folge des unterscheidenden Denkens.
Daher lehrt Zen, sorgfältig in den eigenen Geist zu schauen
Und durch die Macht der weisen Einsicht
Geradewegs ins Ungeborene vorzudringen.

33. Der wirklich Große besitzt das Schwert der Weisheit,
Dessen Prajnâ-Schneide eine diamantene Flamme ist.
Es zerstört nicht nur nutzloses Wissen und Nicht-Wissen,
Es läßt auch die höchsten Dämonen verzagen.

34. Er läßt den Dharma-Donner grollen.
Er schlägt die Dharma-Trommel.
Er verbreitet Wolken des Mitleids und regnet süßen Tau.
Den Fußstapfen des großen Elefanten entspringen Wohltaten ohne Ende.
Die drei Fahrzeuge und die fünf Arten von Menschen erreichen alle Erleuchtung.

35. Das Gras in den verschneiten Bergen
Ist nicht vermischt mit anderem Gras.
Der reine Käse von diesen Gipfeln ernährt mich stetig.
Ein Wesen durchdringt die ganze Natur,
Ein Ding enthält alle Dinge.

36. Ein Mond spiegelt sich in allen Wassern;
Alle Wasser-Monde haben den einen Mond.
Der Dharma-Leib aller Erleuchteten ist in meiner Natur;
Meine Natur ist eins mit Tathâgata.

37. Der erste Schritt enthält alle Schritte;
Es hängt nicht ab von Form, von Geist oder Wirken.
Ein Schnalzen mit den Fingern, und 80.000 Lehren sind vollbracht;
Im Nu sind Äonen ausgelöscht.

38. Alle Zahlen und Begriffe sind Nicht-Zahlen und Nicht-Begriffe.
Was haben sie mit meinem inneren Erwachen zu tun?
Es ist jenseits von Lob und Tadel,
Wie leerer Raum kennt es keine Grenzen.

39. Nie getrennt vom Hier und Jetzt fließt es ständig über.
Suchst du es, so kannst du es nicht finden.
Du kannst es nicht ergreifen,
Und doch kannst du nicht los davon.
Weil du es schon hast, kannst du es nicht erlangen.

40. Im Schweigen redet es,
Im Reden schweigt es.
Das große Tor der wahren Liebe steht offen;
Es kennt keine Hindernisse.
Fragt jemand: 'Welche Wahrheit hast du erkannt?',
Sag´ ich: 'Die Macht der transzendenten Weisheit.'

41. Manchmal sage ich 'ja', manchmal 'nein'.
Die Menschen verstehen nicht.
Manchmal pass´ ich mich an, ein andermal nicht.
Nicht einmal der Himmel kann mein Verhalten ergründen.

42. Seit vielen Kalpas habe ich geübt;
Dies ist kein leeres Gerede, um dich zu täuschen.
Unter klarer Weisung Buddhas hißte Hui Neng die Fahne des Dharma
Und begründete die Lehre.

43. Mahâkâshyapa wurde das Licht zuerst übertragen;
Achtundzwanzig Generationen sind überliefert in Indien.
Dann kam es über Flüsse und Seen in unser Land,
Und Bodhidharma wurde der erste Patriarch.
Wie alle wissen, wurde seine Robe durch sechs Generationen weitergereicht.
Unzählige haben nach ihm den Weg erlangt.

44. Die Wahrheit muß nicht verkündet werden;
Im Grunde ist auch das Unwahre leer.
Ist beides, Sein und Nicht-Sein, auf die Seite gelegt,
Ist selbst die Nicht-Leere leer.

45. Die zwanzig Ansichten der Leere
Können es im Grunde nie erreichen:
Die eine Natur des Tathâgata
Bleibt immer die gleiche.

46. Geist ist die Grundlage, die Erscheinungen sind Staub.
Doch beide sind nur Flecken auf einem Spiegel.
Sind Schmutz und Staub weggewischt,
Leuchtet das Licht wieder klar.
Sind beide, Geist und Dinge, vergessen,
Erscheint die wahre Natur.

47. Ach, diese entartete Endzeit:
Die Menschen sind unglücklich und unbeherrscht.
Weit entfernt sind sie vom Zeitalter der Weisen,
Tief verwurzelt sind ihre falschen Ansichten.
Die Dämonen sind stark, das Dharma ist schwach,
Und überall wuchert das Böse.
Wenn sie die Lehre des Tathâgata von der plötzlichen Erleuchtung vernehmen,
Geraten sie in Zorn,
Denn die können sie nicht wie einen Dachziegel zerschmettern.

48. Die Quelle des Handelns ist dein Geist,
Die Quelle des Leidens dein Leib:
Beklage dich nicht und beschuldige niemand.
Willst du nicht in unaufhörliches Leid geraten,
Lästere nie die wahre Lehre des Tathâgata.

49. Im Sandelbaum-Hain wachsen keine anderen Bäume.
Nur der Löwe lebt in dieser tiefen Stille;
Frei streift er durch das friedliche Gehölz.
Weit entfernt bleiben die Vögel und alle anderen Tiere.

50. Die jungen Löwen folgen den Spuren des Rudels.
Schon die Dreijährigen brüllen laut.
Versuchen Schakale, sie nachzuahmen und König des Dharma zu spielen,
Klingt es wie das Schwatzen von 100.000 Geistern.

51. Die Lehre von der vollkommenen und plötzlichen Erleuchtung
Hat nichts mit menschlichen Gefühlen zu tun.
Hast du unlösbare Zweifel,
Komme mit deinen Einwänden sogleich zu mir.
Das sag´ ich, der Bergmönch, nicht aus Geltungsbedürfnis,
Sondern aus Furcht, deine Übung könnte in eine Falle führen,
In falsche Ansichten über Verlöschen und Weiterleben.

52. Falsch ist nicht falsch, und richtig ist nicht richtig;
Weich ab davon nur um Haaresbreite,
Und du verfehlst es um tausend Meilen.
Wenn richtig, wird selbst die Tochter des Drachen ein Buddha,
Wenn falsch, fährt selbst der große Schüler Zensho lebendig zur Hölle.

53. Seit meiner Jugend habe ich Wissen angehäuft,
Habe Sûtren und Kommentare durchforscht,
Teilte alles in Namen und Formen ein – pausenlos, ohne zu ruh´n.
Doch es gleicht einem Sprung ins Meer, um den Sand zu zählen.

54. Streng hat mich Tathâgata dafür getadelt.
Was nützt es, den Schatz eines anderen zu zählen?
Mir wurde klar: ziellos bin ich umhergewandert,
Jahrelang wie Staub im Wind umhergetrieben.

55. Sind Menschen nicht von Grund auf wahrhaftig, verstehen sie es falsch
Und verfehlen das vollkommene und unmittelbare Gesetz des Tathâgata.
Die Schüler des Shrâvaka und Pratyeka mögen ernsthaft üben.
Es fehlt ihnen der reine Geist des Weges.
Jene außerhalb des Weges mögen viel wissen,
Doch mangelt ihnen transzendente Weisheit.

56. Dann gibt es einfältige und törichte Menschen,
Die glauben, in einer leeren Faust etwas zu finden.
Sie verwechseln den Zeigefinger mit dem Mond;
Ihr Tugendstreben ist erzwungen und verzerrt.
Verloren in einer Welt der Sinne und Objekte
Wandern sie völlig verwirrt umher.

57. Wer kein Ding mehr sieht, der ist der Tathâgata.
Avalokiteshvara kann man ihn nennen.
Wenn du verstehst, sind karmische Schranken von Grund auf leer.
Wenn du nicht verstehst,
Zahlst du alle deine Schulden zurück.

58. Die Hungrigen kommen vor eine königliche Tafel,
Aber sie können nicht essen.
Die Kranken treffen den König der Heiler.
Warum genesen sie nicht?

59. In dieser Welt voller Begierden Zen zu üben,
Ist die Kraft der weisen Einsicht.
Der Lotus blüht inmitten des Feuers
Und wird doch niemals zerstört.

60. Yuse, der Mönch, verletzte die Hauptgebote,
Doch erwachte er zum Ungeborenen.
Augenblicklich wurde er erleuchtet;
Heute noch lebt er.

61. Der Schall der furchtlosen Predigt
Wird leider nicht gehört.
Die Unwissenden, starrsinnig und hart wie Leder,
Wissen nur, daß Verbrechen der Erleuchtung im Wege stehen.
Das schon enthüllte Geheimnis des Tathâgata verstehen sie nicht.

62. Zwei Mönche wurden einst angeklagt wegen Sinnlichkeit und Mord.
Der ehrwürdige Upali mit dem Licht eines Glühwurms
Band sie nur noch stärker an ihre Verbrechen.
Vimalakîrti aber, der große Laie, beseitigte ihre Zweifel sofort,
Wie die strahlende Sonne Schnee und Frost schmilzt.

63. Unzählbar wie der Sand des Ganges
Sind die Wunder der geheimnisvollen Kraft der Befreiung.
Besitzt sie jemand, scheue keine Mühe,
Ihm die vier Gaben darzubringen.
Auch wenn du 10.000 Goldstücke gibst,
Deinen Körper in Stücke zerreißt und deine Knochen zermalmst –
Es wäre des Dankes noch nicht genug.
Ein Wort, wirklich erfahren, übertrifft Millionen Jahre der Übung.

64. Der König des Dharma ist unübertroffen;
Unzählige Tathâgatas haben das gleiche bezeugt wie er.
Jetzt verstehe ich den wunscherfüllenden Juwel.
Wer ihn vertrauensvoll annimmt, bekommt alles, was ihm gebührt.

65. Wenn du klar und deutlich siehst, gibt es nicht ein Ding,
Weder Mensch noch Buddha.
Die zahllosen Welten des Universums sind wie BIasen im Meer.
Heilige und Weise nur kurz aufleuchtende Blitze.

66. Selbst wenn sich ein eisernes Rad über meinem Kopf drehte,
Klare Einsicht und Weisheit wird niemals vergehen.
Selbst wenn die Sonne erkaltete und der Mond erglühte,
Nicht einmal ein Heer von Dämonen könnte die Wahrheit zerstören.

67. Der Elefantenwagen, so hoch wie ein Berg,
bewegt sich bedächtig die Straße hinunter.
Wie könnte ihm eine Gottesanbeterin den Weg versperren?

68. Der große Elefant spielt nicht auf dem Hasenpfad;
Große Erleuchtung befaßt sich nicht mit Einzelheiten.
Schmälere den unermeßlichen Himmel nicht,
Den du nur durch ein Schilfrohr gesehen.

69. Wenn du immer noch nicht verstehst,
Werde ich es für dich klären.

YOKA DAISHI